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Beschreibung | |
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Autor | Rudolf Kohlruss |
Art des Dokuments | Brief, Bericht, Telegramm, Archivsnotiz, Provvista, Pro Memoria, Übersetzung |
Ausführung | maschinenschriftlich, handschriftlich, gesetzt |
Status des Dokuments | Reinschrift, Konzept, Abschrift |
Kommunikationsweg |
von: Rudolf Kohlruss - Rom, 05.02.1934
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Quelle | AA.EE.SS., Periodo IV, Austria Ungheria, Pos. 883, Fasc. 45, Fol. 35r - 38r |
Interne Nummerierung | 567/34 |
Zitiervorschlag
Bericht an Dollfuß, Rom 05.02.1934; AA.EE.SS., Periodo IV, Austria Ungheria, Pos. 883, Fasc. 45, Fol. 35r - 38r in: Kritische Digitale Edition der
Nuntiaturberichte Pius XI. und Österreich. Herausgegeben vom
Österreichischen Historischen Institut in Rom, bearbeitet
von Bernhard Kronegger. Zugriff:
Regest
Der österreichische Gesandte beim Heiligen Stuhl berichtet Bundeskanzler Engelbert Dollfuß über ein Gespräch mit dem britischen Gesandten Sir Robert Clive. Clive erkundigte sich nach der Haltung des Vatikans gegenüber Österreich und ob es in dieser Haltung jüngst Änderungen gegeben habe. Insbesondere zeigte er Interesse daran, ob die Zurückziehung des Klerus aus der Politik, die der österreichische Episkopat verfügt hatte, auf eine generelle Neubewertung der Kurie zurückzuführen sei, die sich – ähnlich wie in Deutschland – für eine Entpolitisierung des Klerus und die Aufgabe des Zentrums entschieden habe.
Der Gesandte betont in seiner Antwort, dass diese Maßnahme vom österreichischen Episkopat selbst ausgegangen sei und keine direkte Einflussnahme des Heiligen Stuhls bestanden habe. Auch der Hirtenbrief des Episkopats sei ein eigenständiger, spontaner Akt der Bischöfe gewesen. Dies beweise vielmehr das Wohlwollen der Kurie gegenüber der österreichischen Regierung, da der Episkopat ansonsten wohl eine Rücksprache mit dem Heiligen Stuhl gesucht hätte.
Clive deutete an, dass sich angesichts der wachsenden nationalsozialistischen Bewegung in Österreich eine taktische Zurückhaltung des Vatikans erklären ließe. Der Gesandte widersprach Spekulationen über eine mögliche Änderung der vatikanischen Haltung und verwies auf die konstante Berichterstattung des Osservatore Romano in Bezug auf Österreich. Er äußerte zudem die Ansicht, dass Berichte über eine breite nationalsozialistische Bewegung in Österreich übertrieben seien und eine kleine, aber laute Minderheit den Eindruck einer großen Massenbewegung erwecke.
Im weiteren Gespräch thematisierte Clive die vatikanische Diplomatie, insbesondere die Fähigkeit von päpstlichen Nuntien, Kontakte zu verschiedenen politischen Strömungen zu pflegen. Der österreichische Gesandte verwies jedoch darauf, dass der Apostolische Nuntius in Wien über unzureichenden Deutschkenntnissen verfüge um solche Kontakte aufzubauen.
Am Ende des Gesprächs kam Clive auf die Spannungen zwischen Österreich und Deutschland zu sprechen und äußerte die Hoffnung, dass die Streitfragen nicht vor den Völkerbund gelangen würden. Der Gesandte hielt es jedoch für unvermeidlich, den Völkerbund in die Konflikte einzubeziehen, da Österreich zur Wahrung seiner Unabhängigkeit verpflichtet sei.
Dollfuß Nationalsozialismus Katholische Aktion Verfassungsreform Anschluss Nuntiatur Völkerbund
Rapporto confidenziale↵
del Sig. ministro d‘Austria↵
al Cancelliere Dollfuss.↵
«Pastorale dei Vescovi austriaci»↵
Herr Bundeskanzler!
Gestern fragte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhle, Sir Robert Clive, telephonisch an, ob mich heute vormittag aufsuchen könne.
Im Laufe seines heute erfolgten Besuches führte mein Mitredner sinngemäss ungefähr folgendes aus:
Seine Regierung interessiere sich dafür, welche Haltung die Kurie Oesterreich gegenüber eunnehme, beziehungsweise ob in dieser Haltung eine Aenderung eingetreten sei.
In diesem Zusammenhange begannen seine Ausführungen damit, dass man den Eindruck gehabt habe, die seinerzeit vom österreichischen Episkopat verfügte Zurückziehung des Klerus aus der Politik sei im Sinne der durch deutschen Verhältnisse hervorgerufenen allgemeinen Neucinstellung der Kurie erfolgt, die, wie er selbst aus entsprechenden Gesprächen zu entnehmen Genegenheit gehabt habre,der Fernhaltung des Klerus von der Politik und dem Wegfall des Zentrums und der Zentrumspolitik nicht besonders nachtrauere.
Man hätte den Eindruck haben müssen, das die eben, beregte Verfügung des österreichischen Episkopates auf diese Linie zurückzuführen seinund dass sie vermeiden sollte, dass im Gegensatz zu der in Deutschland eingetretenen Lage der Klerus in Oesterreich sich zu sehr eine bestimmte Richtung in der österreichischen Politik exponiere.
Der in der Folge erlassene Hirtenbrief des österreichischen Episkopates habe unter diesem Gesichtswinkel eine gewisse Desorientierung geschaffen.
Da die Nachrichten eines Umsichgreifens des Nazismus in Oesterreich sich verdichteten, läge es nur in der selbstverständlichen Taktik traditioneller Vorsicht der Kurie, wenn sich gewisse Zurückhaltungen bei ihr ergäben.
Das Interesse meines Mitredners dreite sich um die Frage ob in der
35Haltung der Kurie Oesterreich gegenüber eine Aenderung bemerkbar sei, wobei ich den Eindruck hatte, er selbst neige einer solchen Annahme zu.
Hiezu nahm ich in nachstehendem Sinne Stellung:
Ich erklärte zunächst eindeutig, dass die Verfügung betrenfend die Zurückziehung des Klerus aus der Politik initiativ vom „osterreichischen Episkopat ausgegangen ist, ▯weil der Kurs der gegenwärtigen Regierung eine genügende Gewähr für die Sicherheit der kirchlichen Belange darstellt und daher jede aktive Stellungnahme von Mitgliedern des Klerus gerade im Interesse der Regierung die Möglichkeit jedweder weiteren Auseynandersetzung über den von Episkopat autoritativ gebilligten Regierungskurs genommen worden.
Da es sich hier um eine initiative Massnahme des österreichischen Episkopates gehandelt habe, könne zunächst einmal unter dem Gesichtswinkel dieser Frage eine Aenderung in der Einstellung der Kurie Oesterreich gegenüber überhaupt nicht in Frage kommen.
Was den Hirtenbrief des österreichischen Episkopates anlange, so sei meines Erachtens hier ebensowenig eine Einflussnahmen des Heiligen Stuhles vorgelegen;dieser Hirtenbrief sei in gleicher Weise ein spontaner Akt des Österreichischen Episkopates gewesen.
Das Faktum jedoch, dass der österreichische Episkopat zur absolut initiativen Erlassung eines solchen Hirtenbriefes sich spontan bestimmt gefunden habe, sei meines persönlichen Erachtens aber ein sprechendes Indiz für das notorische ganz allgemeine spezifische Wohlwollen der Kurie Oesterreich gegenüber, da sich ansonsten der österreichische Episkopat wohl vorher an die Kuerie gewennet haben würde.
Ohne dass also der Heilige Suhl sebst in irgend einem dieser Belange aus seiner traditinellen Reserve zu einer positiven Mitbestimmung hervorgetreten wäre, seien diese Tatsachen ein sichtlicher Beleg für das notorische Wohlwollen der Kurie Oesterreich gegenüber.
Dieses könne bei der allgemein bekannten, streng observanten Einstellung der österreichischen Regierung zur Kirche naturgemäs auch gar nicht anders sein.
Entgegen der Neigung meines Mitredners, gewisse aufgetre ne Befür-
36chtungen und damit im Zusammenhang eingetretene Reserven des Heiligen Stuhles zu vermuten; erklärte ich weiter, dass ich i der geshilderten wohlwollendsten allgemeinen Einstellung der Kurie inzwischen auch durchaus keine Aenderung wahrgenommen habe in diesem Zusammenhang verwies ich auch auf die Schreibart des „Osservatore Romano“ über österreichische Belange, wobei ich aus drücklich hinzufügte, dass hier durchaus keine wie immer geartet Einflussnahme von irgend einer dritten Seite vorliegt.
Dass es an allen möglichen und unmöglichen Versuchen von verschiedensten Seiten, durch durchaus falsche und tendenziöse Schilderungen über die Lage in Oesterreich das Bild zu verwirren nicht magelt, sei möglich.
Ich persönlich hätte den Eindruck, dass überall in den verschiedenen Zentren Europas eine systematische Irreführung betrie ben werde.
Die Tatsachenlage sei jedoc die, dass nur ein durchaus geringfügiger Prozentsatz, der sich aus einem Teil studierender Jugendlicher und sogenannter Intelligenzkreise rekrutiert, den Nazi-Rummel in tunlichst überlauter Weise in Oesterreich inszeniert und dadurch den Eindruck zu erwecken trachte, dass es sich um eine allgemeine Bewegung handelt.
Mein Mitredner musste mit zustimmen, dass z.B. hundert lärmende Radaubrüder alles übrige andere übertönen können und ihnen gegenüber eine loyale Masse von Hunderttausenden, die nicht lärmen, einfach unbemerkt bleibt.
Im Verfolge des Gespräches meinte mein Mitredner noch, dass es zu einer fast selbstverständlichen Vorsichtstaktik der Kirke gehört, tunlichst wenigstens lose Kontakte zu allen Richtungen zu habe, die im Staate zur Mitherrschaft gelalgen könnten.
In diesem Zusammenhange erwähnte er das politische Geschich des Nuntius von Spanien, Tedeschini, hinsichtlich dessen man überrascht gewesen sei, wie er sofort nach dem Sturz der Monarchie bereits über relativ verzweigte iund gute Kontacte zu den neuen Machthbern verfügte, und er fragte mich, ob es nicht möglich sei, dass eventuell auch der Apostolosche Nuntius in Wien solche Zusammenhänge besitze.
Hiezu erklärte ich, dass ich den Herrn Apostolischen Nuntius in Wien zuletzt im Oktober v.J. gesehen habe und dass ich auf Grund meiner per-
37sönlichen allgemeinen Eindrüche eine solche Moglichkeit für ausgeschlossen halten musste; auch verfüge der Herr Apostolische Nuntius in Wien nicht über die Kenntnis der deutschen Sprache, was seine Kontaktmöglichkeiten schon a priori wesentlich einschränkt.
Damit war das dem Besuche zugrunde liegende Thema eigent lich erschöpft.
Nebenbei bemerkte mein Mitredner noch im Gespräche über das Verhältnis zu Deutschland, es sei zu hoffen, dass dire Streit-frage nicht bis zum Völkerbund gelange.
Hiezu erwiderte ich, dass ich von dieser Frage dientstlich abseits stehe dass ich jedoch persönlich keine andere Möglichkeit sähe, als nunmehr den Völkerbund zu befassen.
Ich empfände eies abgesehen vom Rechte vor allem als eine Pflicht, denn Oesterreich sei die Verpflichtung auferlegt worden, seine Selbständigkeit zu erhalten und in dem Momente, wo die Erfüllung dieser Verplichtung durch Einflüsse von auswärts gefährdet werde und direkte Auseinandersetzungen zu keinem Zeile führen sei es die Pflicht des Verpflichteten, mit der Sachlage vor seine Mandaten, die ihm diese Verpflichtung,, auferlegt haben, zu treten.
Darauf hat mier mein Mitredner nichts entrgegnet.
Von Interesse wre noch die von meinem Mitredner gelegentlich geäusserte Ueberzeugung, dass es dem Regime in Deutschland mit der Absicht, zu einem vollen Akkord mit Frankreich zu kommen, unzweifelhaft ernst ist, und dass die politische Unstabilität in Frankreich die Herstellung dieses Einvernehmens ungemein erschwere, da man sich keinem stabilen Verhandlungspartner gegenüber befindet.
Abschrift dieses Berichtes übermittle ich geleichzeitig dem Herrn österreichischen Gesandten beim Königlich Italienischen Hofe.
Genehmigen, Herrn Bundeskanzler, den Ausdruck meiner vollkommensten Ergebenheit.
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